BIN ICH EINE KRÄUTERHEXE?

„Und – bist du eine Kräuterhexe?“ – das ist eine Frage, die ich mit einem Augenzwinkern immer wieder gestellt bekomme. Meist habe ich sie in der Vergangenheit milde weggelächelt. Was aber eigentlich daran lag, dass ich gar nicht wusste, was ich mir unter eine Kräuterhexe vorzustellen habe.

Jetzt will ich mich dieser Frage stellen und eine Antwort finden. Eine Antwort, die jenseits der klischeehaften Vorstellung der hässlichen alten Frau mit Warze oder der verführerischen jungen Frau liegt. Ich suche deshalb nach Eigenschaften von Hexen und mache mich auch auf die Suche nach berühmten Hexen.

Hexen können sich oder andere in Tiere verwandeln

Homer beschreibt in seiner „Odyssee“ eine Frau mit Zauberkräften, Kirke. Er bezeichnet Kirke zwar als Göttin, aber sie trägt doch hexenhafte Züge: Als Odysseus auf die Insel gelangt, die Kirke bewohnt, begegnen ihm und seinen Gefährten zahme Wölfe und Löwen. Kirke bewirtet die Männer, aber sie vermischt den Wein mit unheilbringenden Kräutern. So verwandelt sie die Männer in Schweine und sperrt sie in den Koben. Wir dürfen annehmen, dass Kirke Bilsenkraut verwendete. Es kann Halluzinationen verursachen oder man erblickt Tiergestalten. Wie passend, dass der Gattungsnahme des Bilsenkrauts (Hyoscyamus) auch Schweinebohne heißt.

Im Roman „Metamorphosen“ beschreibt der antike Schriftstelle Apuleius die Hexe Pamphile. Auch sie ist eine Zauberin, und der Erzähler Lucius wird heimlich Augenzeuge, wie Pamphile die Gestalt eines Uhus annimmt.

Hexen können fliegen

Einige der kräuter- und zauberkundigen Frauen des Mittelalters und der frühen Neuzeit konnten wohl so genannte „Hexensalben“ oder „Flugsalben“ herstellen, die auf empfindliche Stellen der Haut gerieben wurde. In diesen Salben dürfte die Alraune eine besondere Rolle gespielt haben; ihre Alkaloide wirken halluzinogen. Auch Tollkirsche, Bilsenkraut oder Stechapfel erzeugen Traumvisionen, die – entsprechend der Erwartung – Flugerlebnisse und die Teilnahme an orgiastischen Festen suggerierten.

Hexen können die Zukunft vorhersagen

Pythia nannte man die amtierende Priesterin im Orakel von Delphi. Sie saß auf einem dreibeinigen Hocker über einer Erdspalte und verkündete in einem veränderten Bewusstseinszustand ihre Prophezeiungen. Ob der Zustand der Verzückung auf giftige Dämpfe aus der Erdspalte oder durch das Verräuchern der Alraunenwurzel hervorgerufen wurde, bleibt einmal dahingestellt. Jedenfalls konnte Pythia nicht mehr deutlich sprechen, weshalb ein Priesterkollegium ihre Worte interpretieren musste. Ursprünglich war Delphi der Erdgöttin Gaia, der Urmutter, geweiht; daher war Delphi ein bedeutendes Hexenzentrum.

Wahrsagerei war sowohl in Griechenland als auch im alten Rom verbreitet, zum Teil mit hoher Spezialisierung. Als Europa christianisiert wurde, starb auch die Wahrsagerei weitgehend aus. Was nicht von Gott kam, wurde zum Aberglauben erklärt und verboten.

Hexen können Liebestränke herstellen

Der Römische Kaiser Tiberius erließ die „Lex Cornelia de sicariis“, in dem schädigende Zauber verboten wurden, vor allem der Giftmord. Legal blieben aber Liebestränke und ihre Gegengifte. Die Kirche jedoch verurteilte den Liebeszauber scharf. Da von den Mönchen und ihrem Kräuterwissen daher keine Unterstützung zu erwarten war, wurden die Liebestränke zur Domaine der Frauen. Auch Hildegard von Bingen kannte manches Rezept für den Liebeszauber. In der Zeit der Hexenverfolgung war das Bereiten von Liebestränken ein todeswürdiges Vergehen.

Hexen können Empfängnis verhüten und abtreiben

Neben der Kirche, in der Mönche mithilfe von Kräutern die Menschen zu heilen suchten, gab es eine starke medizinische Tradition, die von Frauen getragen wurde. Heilkundige Frauen fungierten häufig auch als Hebammen. Die Ärztin Trota beispielsweise wirkte im Salerno des 12. Jahrhunderts hauptsächlich als Hebamme. Sie hatte sehr fortschrittliches Wissen in der Gynäkologie und wusste auch über Geburtenkontrolle Bescheid. Im späten Mittelalter wurden heilkundigen Frauen und Hebammen immer stärker Schadenzauber und Teufelsbuhlschaft unterstellt. Wenn eine Frau einen Abtreibungs-Trank nahm, musste sie 40 Tage lang büßen. Frauen, die einen solchen Trank herstellten, missachteten das sechste Gebot und mussten mit dem Tod rechnen. Ein Kraut, das zur Empfängnisverhütung genauso eingesetzt wurde wie als Abtreibungsmittel war beispielsweise der Quendel (Thymian). Das Wissen um Verhütungsmittel wurde sogar in Form von Kinderreimen weitergegeben.

Hexen sind Heilerinnen

Die oberste Gottheit der Hexen ist die Erde selbst, die Erdgöttin Gaia, die Große Göttin oder Mutter Natur. Sie wird auch die weiße Göttin genannt und mit weißen Blumen, weißen Kleidern oder Opfergaben in Verbindung gebracht. Wenn man gesund bleiben will, darf man nicht gegen die Natur verstoßen. Den Heilerinnen war klar: erst über die Würdigung der Naturgesetze ist Heilung möglich. Sie beobachteten – im Gegensatz zu den Mönchen – die Zyklen unseres Lebens und maßen diesen große Bedeutung bei. „Alles hat seine Zeit“ – dieses Bewusstsein war für sie wichtig bei der Heilung von Krankheiten.

Bin ich jetzt eine Kräuterhexe?

Und finde ich mich nun in einer dieser Beschreibungen wieder? Bin ich eine Kräuterhexe? – Eher nein, muss ich feststellen. Weder kann oder möchte ich Menschen in Tiere verwandeln, noch habe ich Kenntnisse über Rauschdrogen. Ich kann weder die Zukunft vorhersagen noch einen Liebestrank brauen; auch die Geburtenkontrolle liegt mir fern. Allein der letzte Aspekt, den ich hier beschrieben habe, findet mein Interesse: Es gibt ein Jahrtausende altes Wissen über Heilpflanzen, das von Frauen überliefert wurde, die in enger Verbindung mit der Natur lebten. Dabei hatten Frauen in der Regel keinen Zugang zu universitärem Wissen. Diesen Erfahrungsschatz kennenzulernen, finde ich spannend. Vielleicht bin ich in diesem Sinn ein „Kräuterhexen-Azubi“.