SAMMELRITUALE

Hast du auch schon von merkwürdigen Sammelritualen gehört? – Wer Asterix und Obelix kennt, kennt auch Miraculix und seinen Zaubertrank. Die dafür notwendige Mistel musste auf einer Eiche gewachsen sein, dem so wichtigen Baum der Druiden. Sie durfte nur mit einer goldenen Sichel geschnitten werden, keinesfalls die Erde berühren und musste in einem weißen Tuch oder mit der linken Hand aufgefangen werden.

Doch nicht nur von den Kelten sind uns solche Sammelrituale überliefert, auch Ovid erzählt uns in den Metamorphosen davon – und er dürfte sie sich nicht ausgedacht haben: Medea will mit magischen Kräutern Jason verjüngen. Es ist Vollmond, sie macht sich allein auf den Weg, löst ihr Haar von allen Bändern, löst auch ihren Gürtel. Sie hebt ihre nackten Arme zu den Sternen und dreht sich dreimal um die eigene Achse. In fließendem Wasser reinigt sie ihren Körper und ruft Hekate und Mutter Erde an.

Vergleicht man Sammelrituale des klassischen griechischen Altertums und die keltischen Ursprungsmythen, fällt eine große Übereinstimmungen auf. Die Ursprünge der magischen Praktiken dürften in einer sehr lange zurückliegenden Zeit liegen. Wurden diese Rituale nicht beachtet, lief man Gefahr, dass spätere Zauberhandlungen nicht wirkten oder sogar Schaden verursachten. Mithilfe dieser Rituale sollten die in der Pflanze wohnenden Dämonen oder Pflanzengeister versöhnt werden. Und auch heute noch gibt es für viele Heilpflanzen in der Volksmedizin fest eingebürgerte Sammelrituale.

Hier ein paar Sammelrituale, von denen in unterschiedlichster Ausprägung und zu unterschiedlichsten Zeiten berichtet wird:

Als erstes die Reinigung

Ein Reinigungsritual sollte den Zugang zu den Pflanzenwesen erleichtern und damit auch ein Heilritual wirksamer machen. Man nahm ein Bad in See oder Fluss oder besprengte sich nur symbolisch mit Wasser – in christlicher Zeit gerne mit Weihwasser. Schwitzen oder Räucherungen dienten ebenfalls als Reinigungsrituale.

Rituelle Nacktheit

Die rituelle Nacktheit sollte den Kontakt mit dem Göttlichen intensivieren. Die göttlichen Kräfte wurden dabei in der Erde vermutet. Spätestens als die Kirche diese Bräuche verbot, wurde Ersatz geschaffen: Die Füße waren beim Kräutersammeln nackt; das Haar war gelöst, die Gewänder lose, kein Gürtel schnürte ein.

Beschwörung der Pflanze

Beim Ausgraben der Pflanze pries man ihre Heilkräfte und bat die Pflanze, gegen dieses oder jenes Leiden zu helfen. Der angelsächsische Neunkräutersegen beginnt mit einer solchen Anrufung an den Beifuß. Da die christlichen Missionare diese Beschwörungen nicht ausrotten konnten wurden sie durch christliche Gebete und Segenssprüche ersetzt. Ein Beispiel: „Grüß Gott euch, ihr lieben Wegwarten allzumal, die ihr hinter und vor mir seid, stillet Blut und heilet Wunden und alles insgesamt und behaltet die Kraft, die euch Gott und die heilige Maria gegeben hat.“

Der Zeitpunkt ist entscheidend

Es gab bestimmte Sammelzeiten, die die Wirkung der Heilpflanze verstärken sollte. Das konnte ein bestimmter Wochentag sein, oder auch bei Sonne oder Nacht. Am Johannistag (24. Juni) war das Sammeln in der Mittagsstunde besonders günstig. Die Sonne hatte den höchsten Stand im Jahr und dies wurde kombiniert mit dem höchsten Stand der Sonne am Tag. Tatsächlich haben duftende Pflanzen die höchste Wirkstoffkonzentration ihrer ätherischen Öle um die Mittagszeit.

Mondphasen wollen beachtet werden

Gärtnern nach den Mondphasen wird auch heute noch viel praktiziert. Hildegard von Bingen beispielsweise empfahl, die oberirdischen Teile einer Pflanze bei zunehmendem Mond zu pflücken. Wurzeln sollten dagegen eher bei abnehmendem Mond gesammelt werden, da sich die Säfte dann stärker zur Wurzel zögen.

Das richtige Grabinstrument

Bei manchen Pflanzen spielte das Grabinstrument eine Rolle. Grabinstrumente waren zum Beispiel Hirschgeweihe, Bärenkrallen, Tierknochen oder Grabstöcke aus besonderem Holz. Alant musste mit einem Messer aus Elfenbein oder Knochen gegraben oder geschnitten werden, die Wegwarte sollte mit einem Hirschgeweih oder Gold gegraben werden. Plinius schreibt, dass bestimmte Pflanzen „sine ferro“, also ohne Eisengeräte, gegraben oder geschnitten werden sollen. Eisen galt in alten Kulturen als unreines Metall und war daher unerwünscht. Als Grab-Metalle waren lediglich Gold und Silber erlaubt, die Sonne und Mond symbolisierten. Manchmal war das Pflücken mit der bloßen Hand verboten (bei der Wegwarte) oder mit der linken Hand vorgeschrieben.

Opfergabe zum Dank

Jedes Nehmen wurde durch eine Geben ausgeglichen. Eine Entschädigung an die Pflanzen-Wesenheit konnte eine Samenkorn sein, Nahrungsmittel, Geld, Blumen, Schmuck oder es wurde Wasser oder eine andere gute Flüssigkeit auf die Erde vergossen. Im Bayerischen Wald war es bis ins 20. Jahrhundert Brauch, beim Pflücken entfallene Erdbeeren für die „Armen Seelen“ liegen zu lassen oder drei Beeren auf einem Stein oder Kreuz als Opfer niederzulegen. Diese Dankbarkeit der Pflanze gegenüber zeigt sich auch darin, immer nur so viel zu nehmen wie man benötigt, niemals einen Bestand zu plündern und immer genug Pflanzen für ein Weiterleben stehen zu lassen.

Manch „aufgeklärter“ Zeitgenosse mag diese Rituale belächeln. Was mich an ihnen jedoch fasziniert ist der Respekt der Natur und jeder einzelnen Pflanze gegenüber, der in ihnen zum Ausdruck kommt. Und davon würde ich mir tatsächlich mehr wünschen: Respekt gegenüber der Natur. Und in welcher Form dieser Respekt zum Ausdruck kommt, ist mir persönlich erst einmal egal. Ich finde es schön, meinen Kräuterbuschen zu Maria Himmelfahrt in der Kirche weihen zu lassen. Und vielleicht sammle ich meine Kräuter das nächste mal auch barfuß …